Irgendwas mit "polnisch". Wieso "polnisch"? Der Han Feng ist doch aus China, bitte, lebt aber seit ein paar Jahren in Deutschland, in Berlin, und die Barbara Höller kommt aus Wien. Ach so, Polonaise. Dieser festliche Schreittanz. Und im Loft 8 wird jetzt eben das erste – sich neckend harmonierende – Paar auf die Tanzfläche geschickt. Trotzdem ist das kein Ballsaal. Nicht einmal ein Tanzschuppen.
Der Titel der ausgeglichenen Schau ("Polonaise d’ouverture" – Eröffnungspolonaise) ist vielmehr metaphorisch zu verstehen. Verweist auf weitere Doppelausstellungen, die geplant sind. Und die aktuellen Arbeiten? "Paaren" sich mit dem gebotenen Stolz und majestätischer Würde (Merkmale einer Polonaise).
Die Abstraktion erinnert sich an die Gegenstände
Die Malerei von Han Feng kommt geradezu kontemplativ zur Ruhe. Ist dabei abstrakt und gegenständlich zugleich. Und mit ihren irgendwie vertraut geschwungenen Konturen eine originelle Variante der "Shaped Canvases", der nicht viereckigen Tafelbilder. Der 1972 in Shanghai geborene Künstler formt nämlich alltägliche Dinge, oft welche vom Flohmarkt und Teile von Möbeln, am liebsten Antiquitäten, mit der feuchten Leinwand ab. Verhüllt das alte Zeug, das in Gebrauch war, was erlebt hat, was erzählen kann, hauteng und geht dann mit der Farbe drüber. Üblicherweise mit einer einzigen. Und mit einem einfühlsamen Pinsel, der das Darunter vorsichtig abtastet wie ein Blinder ein fremdes Gesicht mit den Fingern.
Hat was von einer Frottage. Nur, dass den Sachen keine Abreibung verpasst wird (mit Papier und Kreide oder Bleistift), bis das, was hinter dem Papier ist, auf diesem zum Vorschein kommt. Eher vage übertragen sich die Strukturen. Ein bissl wie beim Grabtuch von Turin. (Nicht, dass die Malerei schon wieder gestorben und erneut wiederauferstanden wäre. Und die Leinwand ein Leichentuch wäre.) Blasse oder mitunter deutlichere Erinnerungen an Gegenstände, die letztlich entfernt werden. Okay, die zwei Leinwände, die sich neugierig zum Betrachter herabbeugen, sind mit ihren Sessellehnen nach wie vor in Kontakt, haben ihr Rückgrat aus Holz behalten dürfen.
Erstickende Monochromien kommen am Ende folglich definitiv keine heraus. Stattdessen geheimnisvolle, introvertierte Objekte, die einem bekannt vorkommen, ohne dass man sie immer eindeutig zuordnen könnte, weil es ihnen gelingt, ihr Mysterium zu bewahren. Ein Spiegel? Ja. Aha, ein Barometer. Wäre ich nie draufgekommen. Das dort ist allerdings zweifellos ein kleines Wandweihwasserbecken, oder? Schließlich hat Han Feng das in einem aufgelassenen Kloster entdeckt. Was? Das ist ein Kerzenhalter?
Und die handliche grüne Konsole? Ist nicht leer. Auf der fehlt nicht das Heiligenfigürchen, sie trägt ihre eigene Aura. An einer anderen Stelle wiederum arrangiert Han Feng Gedrucktes und Handschriftliches (chinesische Zeichen) zu Mustern, hat Bücher und Blätter mit Notizen in ornamentale Form gebracht, zugeschnitten. Ein Erzähler, der für seine Geschichten keine Worte braucht, selbst wenn sie da sind.
Die nullte Dimension reist zum Mittelpunkt der Erde
Was hängt an der Wand, und wenn es runterfällt, ist die Schwerkraft nicht kaputt, sondern hat funktioniert? Ein Bild von der Barbara Höller. Könnte natürlich genauso gut eine Wanduhr sein. Freilich arbeitet die Wienerin, Jahrgang 1959, eng mit der Schwerkraft zusammen. Höller: "Die Gravitation ist meine Assistentin." Und die ist es, die die Striche auf den zwei Leinwänden da zieht. Gerader würde es ein Lineal ebenfalls nicht hinkriegen.
Oh, das sind ja gar keine Leinwände. Das ist die Haut der Kunst! (Gewissermaßen.) Nein, die Höller hat Letzterer nicht Erstere eigenhändig abgezogen. Das weiße Kunstleder (Rindsleder = die gegerbte Haut vom Rind, ergo: Kunstleder = die von der Kunst) hat sie gekauft! Um es nachher auf einen Keilrahmen aufzuziehen, den Malgrund in den gewünschten Winkel zu kippen, die Farbe anzusetzen, wofür sie "ein spritzenähnliches Instrument" benutzt, und geduldig zuzusehen, wie diese "zum Erdmittelpunkt rinnt". Zumindest geht’s in die Richtung. Im Grunde fährt hier ein Punkt zur Hölle, Tschuldigung: fällt nach unten und wird derweil zur Linie, weil bei seiner Reise zum Mittelpunkt der Erde der Weg das Ziel ist. Während die Malerin, die "viel Recherche und Frustration" in die Entwicklung ihrer Technik investieren hat müssen, auf ihrer Leiter oben stillhalten muss.
Rinnbilder – hat der Hermann Nitsch so etwas nicht auch gemacht? Sicher. Doch nicht so präzise, so gradlinige. Die Höller ist halt keine Aktionistin, die ist Perfektionistin. ("Ja, leider." – Warum "leider"? – "Es macht das Ganze langwierig und anstrengend." Nachbemerkung: "Aber schön.") Und sie hat vor ihrem Abschluss in Kunst obendrein Mathematik studiert. Ob sich bei ihr deshalb Berechnung und Zufall zum richtigen Ergebnis addieren? Zu einer rationalen Sinnlichkeit?
Die Gerade kurvt herum
Durch Nachjustieren des Schiefegrads des Bildes knüpfen die Rinnspuren des Acryllacks jedenfalls nach und nach ein Netz, das Räumlichkeit andeutet, oder sie überlagern sich dergestalt, dass plötzlich eine Wellenbewegung reinkommt, der Blick seekrank wird (wenn er sich auf den Interferenzen treiben lässt, auf ihnen surft). Bei den Unikat-Siebdrucken ("Vibration research" 17 und 53) und den Tuschezeichnungen (eine pingelige Millimeterarbeit, und diesmal war ein Lineal involviert) ist dieser Moiré-Effekt, der die Fläche zum Vibrieren bringt, noch ausgeprägter. Eine Gerade ist bekanntlich eine Kurve, die Summe aus vielen Geraden, die sich verdichten, bietet dem Publikum eine kurvenreiche Show. Lässt einen die Regungen zwischen den Zeilen, zwischen der sturen Strenge lesen. Das visuelle Plätschern.
Und der leibhaftige gelbe Würfel in der Auslage? Bei dem sind die Schichten (sechs an der Zahl) nicht aus Nougat wie beim Ildefonso-Würfel, sondern aus Holz. Und variabel. Eine Art 3D-Puzzle, das die Künstlerin "falsch" zusammengesetzt hat. Nämlich intuitiv und deswegen eh genau richtig. ("Ich bin einmal rumgegangen: Ja, passt.") Es ist noch immer ein Würfel, ja. Die spitzen, keilförmigen Akzente und sich verjüngenden Streifen brechen hingegen aus dem System aus. Stürzen die Ordnung ins gepflegte Chaos. Wie nennt man diese Farbe eigentlich? Aubergine? Höller: "Das ist ein Violett-Rot-Blau-Grau-Silber. Vielleicht noch Altrosa dazu."
Das Unten taucht unter
Zum Schluss wird’s landschaftlich. Verwandeln sich fünf weiße Ringe aus Forex ("leider Gottes ein Plastikmaterial, ein neumodisches, aber es ist leicht") in ein Seestück, ein fragiles Mobile, das auf jede sanfte Brise reagiert. Driften schwebend aus einer Fensternische in den Raum. Höller hat sie "unten" (und dadurch dieses Unten überhaupt erst erschaffen) in eine blaue Flüssigkeit eingetunkt (Tunkbilder?), mit ruhiger Hand und höchster Konzentration diesen Moment des Eintauchens zelebriert, hat sich in der Hektik dieser schnelllebigen Zeit "diese halbe Minute oder so" genommen, und durch die Gucklöcher (Ringe, hallo?) oberhalb vom jeweiligen Meeresspiegel kann man nun über den Horizont hinausschauen.
Und mit Han Fengs Vögeln (Acryl auf Papier), die das Kolorit ihres Lebensraums angenommen haben, des Himmels, und sich an der Wand zum Formationsflug ordnen (und gleichermaßen auf die Geometrie stehen, zumal die Blätter, auf denen sie drauf sind, Sechsecke sind, die sich kachelartig zu einem Schwarm zusammenpuzzeln), ist die maritime Szene komplett.
Völlig abstrakt (auf die weltfremde Weise) ist da wohl keiner und keine. Den Bezug zur Realität haben sichtlich beide "Tanzpartner" nicht verloren, die aus dem Minimalen das Maximum rausholen.
Loft 8
(3., Radetzkystraße 4)
Han Feng und Barbara Höller:
"Polonaise d’ouverture"
Bis 20. Jänner
Di. – Fr.: 13 – 18 Uhr
Sa.: 11 – 15 Uhr
Geschlossen bis 9. Jänner
Related Artists: HAN FENG 韩锋
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