Ausflug in Paradies
Das Schlußbild ist radikal: Ein junger Dicker steigt einen freistehenden kleinen Treppenklotz zwischen Bahngleisen hinauf und schwingt aggressiv ein nacktes, abgebrochenes Schaufensterpuppenbein. Dazu wummert irgendeine chinesische Popmusik. Dann zieht er noch sein Hemd aus, verbeugt sich wild auf dem winzigen Podest, sein schwabbeliger Bauch schimmert weiß vor der Kulisse aus Masten, Schienen und grauem Himmel.
Ein vergleichsweise bombastisches Finale des schwarzweißen
Spielfilms „An Estranged Paradise“ von Yang Fudong. Bis dahin herrschte kostbar
aufgeladene Ruhe. Zhuszi und seine Freundin Linshan leben an einem Ort, dessen
Name übersetzt Paradies bedeutet. Er leidet zuweilen, an Unruhe vielleicht, die
Eltern kommen zu Besuch, kurz vor Schluss wird auch geheiratet - insofern ergibt
sich das Muster einer Filmerzählung. Gleichzeitig wirkt jede Szene, jedes Bild
wie eine abgeschlossen dahinschwebende Zeitseifenblase. Der Bootsausflug der
Familie wird von der dahingezwitschernen Erzählung der künftigen
Schwiegertochter liebevoll kommentiert, die Kamera ruht derweil auf den
Rudernden. Der Ausflug wird zum Spaziergang, auf einer Steinbrücke bleiben alle
stehen und stellen sich zum Gruppenportrait auf. Da blicken sie aufmerksam
abwartend in die Linse - aber niemand fotografiert, die Pose galt dem Kameramann
und so sehen sich Zuschauer und Schauspieler kurz direkt an. Ein Fotomoment, in
dem die Filmkamera zu lange auf einen kurzen Blitz zu warten scheint. Wie
später, wenn dem Angler die Aale vom Rad gekippt sind und er fasziniert den
umherschlängelnden Fischen zuschaut, oder im Park, als Braut und Bräutigam
umeinanderposieren wie Vögel oder Seriendarsteller.
Chinesisch angehauchte Melodien füllen den kleinen schwarzen
Raum, in dem „An Estranged Paradise“ als Video-Dauerschleife gezeigt wird.
Manchmal mischen sich auch die Geräusche der Parks, Landstraßen, Krankenhäuser
und Flure in die Bilder. Genauso gleichmäßig und prezios wie die sparsamen
Dialoge, die zumeist doch eher verhallende Monologe bleiben. Der gleichmäßig
getönte Film ist wie eine verdichtete Substanz, aus der sich eine Novelle
kondensieren ließe oder unzählige Einzelbilder vom Glück.
by Catrin Lorch
Orginal Text on http://blitzreview.de/b-763.html